Wulik River 2015

Wulik River, Alaska
Floattrip Wulik River, AK

Der Bericht wurde auch auf dem www.fliegenfischer-forum.de veröffentlicht.
Link zum PDF-Download: hier


Floattrip vom 20.08. - 28.08.2015

Das Motto unseres diesjährigen Floattrips lautete:

 

Bekanntschaft mit dem Unbekannten

 

Beim Unbekannten handelt es sich um den Sheefish (Stenodus leucichthys nelma). Die Natives nennen ihn „Inconnu“ (der Unbekannte), wir kennen ihn auch als Weisslachs. Diese Renkenart kommt nur in Flüssen rund um den Polarkreis vor, kann über einen Meter lang werden und gilt als ausgesprochen starker und wilder Kämpfer. Kollegen aus den Lower 48 handeln ihn auch als „Tarpon of the north“.

 

Nach einiger Recherche legten wir unser Reiseziel auf die Region des Nationalparks „Gates of the Arctic“ im Nordwesten Alaskas fest; bei den Karibu-Jägern auch als „Unit #23“ bekannt. Diese Gegend rund um den Polarkreis versprach nebst Inconnus auch die Anwesenheit von grossen Arctic Chars/Dolly Varden, Hechten in Hülle und Fülle, nächtlichem Wolfsgeheul, Nordlichtern, Karibuherden und wilden Moschus Ochsen. Lachse sind nur vereinzelt anzutreffen: Praktisch nur Hundslachse verirren sich noch so hoch in den Norden, was die meisten typischen Alaska-Angeltouristen von dieser Ecke abhält und uns auf eine einsame und entspannte Fischerei hoffen liess. Die Gegend war uns bislang unbekannt, abgesehen von einer wilden Fahrt hoch in die Prudhoe Bay Mitte der 90er Jahre, aber dies ist eine andere Geschichte.

 

Somit war der Grundstein für ein neues „unbekanntes Abenteuer“ gelegt.

 

 

Wiederum stand fest, dass wir die Flüsse mit Schlauchboot und Zelt befahren wollten. Flüsse wie der Kobuk, Noatak, Kuskowim, Koyuku, Kelly-Wrench, Selawik, Melozitna, Kugururok, Kililina, Wulik standen zur Auswahl.

Zum Schluss fiel unsere erste Wahl auf den Kobuk River, welcher vor allem für den Sheefish die beste Adresse sei und anschliessend als zweiten Float den Wulik River, wo die Searunning Dolly Varden / Chars aufsteigen sollen.

 

Als Basis wurde Kotzebue, rund 40 km über dem Polarkreis ins Auge gefasst. Von dort aus kann man beide Flüsse mit einigermassen vertretbarem Aufwand anfliegen.

Geplant wurden drei Wochen, gewährt und freigegeben von unseren Liebsten zu Hause (jup, unser Dank ist ihnen bis in alle Ewigkeit gewahr). Der Reisebeginn wurde auf Ende August gelegt. Da sollen die Sheefish und die Saiblinge vom Meer her in die Flüsse zum Laichen hoch ziehen.

 

Das Interesse möglicher Mitreisender war zu Anfang riesig, doch je näher der Termin kam, umso kleiner wurde die Truppe. Zum Schluss waren nur noch Rolando und ich übrig. Das war uns beiden auch recht, denn das Risiko, dass der Trip schiefgehen könnte, war diesmal doch erheblich, was sich später auch teilweise bestätigte.

Sheefish werden vorwiegend mit grossen Spinnern und Löffeln beangelt. Die Natives stellen ihnen auch mit Netzen im breit und ruhig fliessenden Kobuk nach.

 

Mit unseren 9er-Einhandruten würden wir ziemlich aufgeschmissen sein. Ein Gespräch mit unserem „local“ EFFA-Instruktor Jean-Paul Kauten versprach jedoch die Lösung: „Ihr braucht Zweihandruten um die schweren Streamer über den Kobuk pfeffern zu können“. 

Jean-Paul Kauthen
erste Schritte mit zwei Händen

Kurzum wurden zwei preiswerte Redington Duallys in Länge 13.6“ undin Klasse #8,  625-650grain Skagit Schnüre,  und T-22er Sinktips beschafft.

 

Nach einem Wurfkurs bei Jean-Paul und etlichen Übungsstunden an der Aare fanden Rolando und ich richtig Gefallen an der Zweihand-Werferei.

 

Es gelang gar irgendwann unsere selbstgebundenen Streamer im Format von Wishmöppen in einigermassen akzeptabler Weite in die Aare plumpsen zu lassen. Besonderen Dank gilt der Geduld von Jean-Paul, der Gummibootsfahrer und der lokalen Entenpopulation!

 

Hier die ganze 2HandGeschichte:

ride on!

Sheefish Streamer
Sheefish Streamer

20.08.2015 Abflug

Der Abflugtag kam schneller als gedacht, und endlich konnten wir dem Pack- und Bindestress ein Ende setzen!

 

Nach gut 9 Stunden Flug baute der Pilot einige extra Schlaufen um den Mount McKinley ein. Das Wetter war ausgezeichnet und der Blick auf den Grossen einmal mehr überwältigend. Der Pilot erklärte, dass Präsident Obama die nächsten Tage den Bundesstaat Alaska besuchen komme, um unter anderem auch dem Mount McKinley seinen traditionellen Namen „Denali“ (der Grosse) zurückzugeben. Seit dem 29. August 2015 ist es amtlich: Der höchste Berg Nordamerikas, einer der Seven Summits, heisst nun wieder  „Denali“. 

 

Rolando und ich fanden das toll und freuten uns über Obamas Aufmerksamkeit zu einem seiner entlegensten Staaten. Was wir aber nicht bedachten war der ganze Zirkus, der sein Besuch in Alaska zur Folge haben würde. „Obama is coming“ sollte uns von nun an als Warnung verfolgen.

Denali
Denali (ehem. Mount McKinley)

Zwei Tipps für Condor-Fluggäste mit Reiseziel Alaska:

  • Für einen XXL-Seat muss man sich nicht schämen. Meine Kids machen sich zwar immer noch einen Spass draus: „Paps bucht den XXL-Seat! #BigMacLover“, aber die 79 Euro sorgten dank durchgestreckten Beinen, für einen sehr entspannten Langstreckenflug.

  • Statt eines zweiten Gepäckstücks mit max. 23kg, buchten wir ein Sportgepäck mit max. 30kg. Wir klassifizierten eine unserer Taschen mit aufgebundenem Rutenrohr als „Sportgepäck“, was von den Fluggesellschaften akzeptiert wurde. Preis ist einerlei: knapp 70 Euro. Das Sportgepäck punktet auch beim Rückflug: Eine mögliche Lachskiste auf dem Rückflug wird so nicht als drittes Gepäckstück gerechnet (sauteuer), sondern geht als zweites Gepäckstück durch. Da Condor ihre Rules und Preismodelle häufiger wechselt als der HSV seine Trainer, sollte man hier beim Buchen die einzelnen Modelle genau prüfen.

 

Wir landeten nach Plan in Anchorage, das Gepäck war auch alles da und die Immigration ging ruck zuck.

 

Vor dem Flughafengebäude wartete DeAnn vom Alaska Fisherman Club, welche uns ins Lakeshore Motor Inn führte. Hier stand Carmens Kia, welcher uns bis zum morgigen Tag für Einkäufe und andere Fahrten vom Alaska Fisherman Club zur Verfügung gestellt wurde. Um es vorne weg zu nehmen: Der Service, die Organisation, das Material und die Flexibilität, welche Carmen und ihr Team vom AFC an den Tag legten, war einmal mehr schlichtweg genial und hervorragend! *highly recommended*

 

Im Kia standen die bestellten leeren Bären- und Kühlboxen, welche darauf warteten, im Fred Meyer und diversen Tackleshop-Stops mit frischem Proviant und Geheimwaffen gefüllt zu werden. Rolando und ich spulten die vorbereiteten Einkaufslisten ab, inklusive kurzem Zwischenstopp am Ship Creek, brachten danach im Motelzimmer unser Tackle mit den lokalen Zukäufen in Schuss und liessen den Abend bei einem feudalen Steak & Alaskan Amber im Lone Star ausklingen.

 

War ein tolles Gefühl in die ungewisse Zukunft zu blicken, von all den kommenden Erlebnissen zu träumen und endlich wieder Aussicht auf die Einsamkeit und Freiheit Alaskas haben zu dürfen.

21.08.2015 Kotzebue

Der Tag begann früh und wenn wir geahnt hätten, was uns dieser Tag alles bescheren wird, wären wir wohl liegen geblieben.

 

Die erste Hürde erwartete uns beim Einchecken für den 07.00 Uhr Flug nach Kotzebue. Dass uns die freundliche Dame am Schalter mit all unserem Zusatzgepäck ordentlich die Dollars aus der Tasche ziehen wird, gehörte zum Plan.

 

Die Proviantbeschaffung ist in Kotzebue kostspielig und hätte das Loch in der Reisekasse unnötig vergrössert. Eine weitere Spezialität von Kotzebue ist die kontrollierte Alkohlabgabe.

 

In Kotz (wie es von den Einheimischen genannt wird) gibt es eine Person, über welche der ganze Handel läuft. Nicht Tony Soprano sondern Richard Godfrey heisst der Herrscher der Promille. Richard geniesst anscheinend das Leben, schläft jeden Tag fürstlich aus und sperrt den City-owned Liquor Store erst Nachmittags um 15.00 Uhr auf, was natürlich überhaupt nicht in unsere Pläne passte. Um diese Zeit wollten wir längst am Kobuk den ersten Sheefish drillen und mit einem kühlen Blonden den Erfolg feiern!

 

Richard bot ausnahmsweise jedoch an, direkt bei unserer Ankunft am Flughafen den Deal über die Bühne zu bringen. Da hätte er uns dann auch gleich das Permit, welches zum Besitz von Alkohol in Kotz berechtigt, ausstellen können (sofern wir den „Criminal Background Check“ auch bestanden hätten…). Nicht aus Angst vor diesem Check, sondern ob des doch umständlichen Drugdeals in Front des Flughafengebäudes, nahmen wir dann erfolgreich und sehr unkonventionell einige Dosen Bier „sans-papier“ in einer der Bärenkisten von Anchorage nach Kotz.

 

Auffällig in Anchorage waraber, dass sich eine ganze Horde TSA-Agenten nach der Gepäckaufgabe um unsere Rutenrohre kümmerte. Ein Unterarm in XXL-Format mit scharfkantigem Schnüffelstab quetschte sich auf der Suche nach verbotenen Substanzen durch die passgenau eingepackten 4er Rütchen – Rolando und mir zog der Schmerz bis ins linke Ei; „Obama is coming“... Die TSA nahm deshalb ihren Job noch ernster als sonst und kontrollierte wirklich alles doppelt und dreifach. Es war auch nicht zu übersehen: Die Gepäckstücke stapelten sich zu Hauf in Anchorage.

Kotzebue
Anflug Kotzebue

Der Blick von oben auf Kotzebue sah interessant aus. Auf einer Landzunge reihen sich die typischen Langhäuser aneinander.

 

Die Landepiste wurde in die Lagune aufgeschüttet.

 

Den Strassen kann man mit dem Auge ein paar Momente folgen, dann sind sie einfach mitten in der Tundra zu Ende, ohne weiteren ersichtlichen Grund abgeschnitten.

 

Man fragt sich als Betrachter, ob einfach Feierabend war oder ob der Schotter ausgegangen ist – man findet keine schlüssige Erklärung.

 

Wir landeten planmässig in Kotzebue. Alles gut bis jetzt.

Auf die frische Brise und das garstige Wetter, welches uns empfing, waren wir vorbereitet. Die Regenjacken konnten bereits beim Spurt vom Flieger in die Ankunftshalle ihre Tauglichkeit beweisen.

 

Umgehend fiel uns auf, dass wir uns nun im Land der Iñupiat befanden. Wir waren als Bleichgesichter deutlich in der Unterzahl. Um hier mögliche Vorurteile gerade vorne weg zu klären: Das Gefühl „Zu Gast bei Freunden“ zu sein, stellte sich umgehend ein.

Ein paar Jungs sehen schon arg gefährlich aus,  aber das ist nur das äussere Bild. Alle Natives, welchen wir auf unserer Reise begegneten, waren ausgesprochen freundlich, extrem hilfsbereit und der Umgang war beidseitig immer sehr respektvoll. Weder wurden wir abschätzig noch als Aussenstehende behandelt. Ganz im Gegensatz zu den einheimischen Bleichgesichtern. Die hatten nicht viele freundliche Worte für die Urbevölkerung übrig. Als Gäste hörten wir beiden Seiten zu, doch mehr auch nicht.

 

Rolando und ich standen voller Spannung an der Gepäckausgabe. Über eine Blechrutsche donnerten die Koffer in die Eingangshalle. Als die Lichter gelöscht wurden, fehlte eine meiner Taschen und mein Rutenrohr – jetzt hatte es mal mich erwischt. Während des Wartens gesellte sich Jim Kincaid, unser Pilot, zu uns. Er wollte uns abholen und direkt an den Kobuk ausfliegen. Ich erkundigte mich bei einer freundlichen Angestellten von Alaska Airlines, ob noch mehr Gepäck zu erwarten sei. „No Sir, that was it“. Arrgghh!

 

Es stellte sich heraus, dass die TSA in Anchorage  für das Malheur verantwortlich war. Durch ihre gründlichen Kontrollen („Obama is coming“), würde es momentan sehr oft vorkommen, dass einzelne Gepäckstücke es nicht auf die Flüge schaffen würden. Die Angestellte meinte weiter, dass das fehlende Gepäck auf der Abendmaschine um 18.00 Uhr zu erwarten sei.

 

Da meldete sich unser Pilot zu Wort und wir wurden bleich. Er fliege um diese Uhrzeit nicht an den Kobuk raus, da er sonst in der Dunkelheit nach Kotzebue zurück kehren müsse. Unnötige Risiken ginge er in seinem doch fortgeschrittenen Alter nicht mehr ein. Mein Vorschlag, dass er uns am nächsten Tag ausfliegen könnte, schlug er auch aus. Da hätte er bereits andere Flüge geplant.

 

Unterdessen stiess der Manager von Alaska Airlines zu uns. Er sicherte Jim die Übernahme der zusätzlichen Flugkosten für einem zweiten Ausflug zu (wir reden hier von gut USD4000.-), da wir Kunden ein Recht auf den Transport unseres Gepäcks haben – egal wie. Wir entspannten uns merklich, das Thema Kohle war schon mal vom Tisch. Doch Jim blieb weiter standhaft. Sein Angebot war, dass er uns frühestens in 5 Tagen das fehlende Gepäck an den Kobuk Startpunkt ausfliegen würde. Fünf Tage oben am Walker Lake festgenagelt sein, um dann die ganze Floatstrecke in der Hälfte der Zeit runter zu paddeln? Niemals!

 

Bei meinem nächsten Vorschlag kam es dann aber zum Handshake: Wir drehen unsere Pläne und gehen zuerst an den Wulik und erst danach an den Kobuk. Jim war gar bereit, am gleichen Abend noch einen zweiten Flug an den Wulik zu machen, da dieser nur 45 Minuten Flugzeit von Kotzebue entfernt ist. Allgemeines Aufschnaufen war durch die Flughalle zu hören.

 

Armauflage Kotz-Style
Armauflage Kotz-Style

Das Gepäck wurde in Jim’s Karre verladen und es ging Richtung „Northwestern Aviation“.

 

Im Office wurde etwas Papierkram erledigt und in Jims Hangar nahmen Rolando und ich kurz das Boot und das weitere Material, welches zuvor via Cargo von Anchorage nach Kotzebue von Carmen verschoben wurde, in Augenschein. Perfekt – alles da was wir bestellt hatten.

 

Eigentlich wären wir jetzt abflugbereit gewesen, doch spielte das Wetter nicht mit. Die Wolken hingen tief und Jim meinte, wir sollen uns die nächsten zwei Stunden in Kotzebue vergnügen, bis die Sonne zum Vorschein kommt.

 

Die Laune bei uns beiden war natürlich umgehend getrübt, denn wir waren heiss, heiss auf Wulik, heiss auf Dollies. Aber was will man machen – die Piloten sind schwer bestechlich und ein Ausflug Downtown Kotzebue hätte sicher auch seinen Reiz.

Wir trotteten zu Fuss durch Kotzebue. Ein Highlight für jeden Städtebummler: Industrie, Wohngebiete, Müllkippen, Schulen und Restaurants sind wild gemixt, ähnlich die Vorgärten der Hausbesitzer.

 

Der Friedhof ist speziell zu erwähnen: Längs in der Mitte der gesamten Landzunge wurde das Gelände aufgeschüttet: das verspricht nebst trockener, ewiger Ruhe auch eine gewisse Stabilität der Grabsteine.

In einem der koreanisch geführten Restaurants langten wir ein letztes Mal richtig zu und beobachteten das emsige Treiben von Kotzebue. Eine fliegende Möwe am Horizont sorgte schon fast für Aufregung. Eine gewisse Niedergeschlagenheit machte sich breit  - die Luft war raus. Kurz bevor wir gänzlich dem depressiven Ticken der Wanduhr verfielen und uns die Zeit mit Russisch Roulette vertrieben, brachen wir auf.

 

Es reicht! WULIK! JETZT!

 

Zurück bei Jim klarte endlich der Himmel auf und Bewegung kam in die Unternehmung. Während Jim die Maschine auftankte, beluden wir all unser Zeug. Anschliessend zwängten wir uns ins aeronautische Museumsstück und endlich ging es Richtung Takeoff. Ein paar Funksprüche später und schon waren wir in der Luft. Endlich! Wulik, wir kommen.

Jim Kincaid
Jim Kincaid
Kotzebue
Kotzebue
Kotzebue
Kotzebue

Weiter ging es Richtung N-N-O, Richtung Wulik.

 

Bald tauchte der Noatak River unter uns auf, von dessen Grösse wir mächtig beeindruckt waren. Der Kobuk würde uns in ähnlichen Dimensionen erwarten. Umgehend stand die Frage im Cockpit: „Haben wir genügend an der Aare mit den Bi-Handern geübt?“ Das sind schon tolle Kaliber, die Flüssen hier oben.

 

Endlose Tundra erwartete uns nun die nächste Stunde. Aus dem gemütlich geheizten Flieger die sich aufbauenden Gewitter mit unzähligen Regenbogen zu beobachten, war der Hammer. Natürlich immer mit der Gewissheit im Hinterkopf: Am Wulik scheint dann nur die Sonne und wir kommen aus der Waschküche raus.

Noatak River
Noatak River

Gut durchgerüttelt drehte Jim mit uns die ersten Schleifen über den Wulik River. Toll sah der Fluss von oben aus und je näher wir kamen, umso mehr Jagdinstinkt kam auf: Wer entdeckt die erste Dolly-Schule in einer der Rauschen? Doch Ernüchterung machte sich breit. Der Fluss schien unbewohnt – weder an den Ufern noch im Wasser gab es etwas zu entdecken.

 

Wulik River, Alaska
Wulik River

21.08.2015 Wulik River

Zuerst ein harter Aufprall, dann noch ein paar hintendrein, dazu spritzendes Kies und plötzlich dreht der Propeller aus. So funktioniert die Landung mit den übergrossen und weichgepumpten Rädern der Einmotorigen.

 

Rolando und ich zwängten uns aus der Krutze und begannen umgehend mit dem Ausladen. Wir wollten Jim nicht den geringsten Anlass geben, den Abendflug mit dem fehlendem Gepäck zu canceln. Denn so wie der Fluss von oben ausschaute, war hier kaum mit einer erfolgsversprechenden Fischerei zu rechnen.

 

Jim holperte über das grobe Kies zurück und verschwand am grauen und durchzogenen Himmel. Rolando und ich machten uns auf die Suche nach einem ersten Campplatz. Aufgrund der Wetterlage und des fehlenden Sees als Ausgleichsbecken, entschieden wir uns auf einer etwas erhöhten Stelle die Zelte aufzuschlagen.

 

Wulik River, Alaska
erster Campplatz inmitten überwältigender Kulisse
erster Campplatz inmitten überwältigender Kulisse

Der Wind blies permanent, Regen und Sonne wechselten sich ab. Unser Küchenverschlag, als Basis diente ein leichtes Moskitozelt, verstärkten wir Stützen aus Schwemmholz und zwei grossen Planen, um einen gemütlichen Ort der Ruhe und zu haben.

 

 

Jim schaute am Abend tatsächlich nochmals vorbei, hatte nun aber ein weiteres Ass im Ärmel: Mit diesem zusätzlichen Gepäck wären wir für den Rückflug zu schwer. Er müsse sicher zweimal fliegen, um uns nach Kotzebue zurück zu bringen. 900 Dollar extra. Ächz! Dass wir weder Fisch noch einen Extra-Elch ins Heck verstauen wollten, auch dass wir einiges an Proviant verloren hätten, liess ihn nicht von seinem Zusatzflug abbringen. „Schauen wir dann, wenn es soweit ist“ meinte Rolando und die Diskussion war beendet.

 

Nachdem alles Material einigermassen sortiert und für das Trinkwasser gesorgt war, ging es zurück ans Wasser. Wir fischten etliche Stunden, die Dämmerung begann erst gegen 23.00 Uhr, doch gefangen haben wir nix, gar nix! Nicht einen Biss konnten wir verzeichnen. Es bestätigte sich was wir bereits im Flieger befürchteten - keine Fische.

 

Beim klassischen Menu „Floattrip“ (Nudelsuppe chinesischer Herkunft), einem ersten Schluck Cabernet Sauvignon aus dem 5 Liter Karton und einem Panoramablick aus dem Küchenzelt hakten wir diesen ersten Tag ab und verzogen uns ins Schlafzelt; voller Hoffnung, dass wir am nächsten Tag einiges mehr an Flora und Fauna vom Wulik zu Geschicht bekommen würden.

 

Die Nacht gestaltete sich aber unruhig: der Wind nahm immer mehr zu und die Planen am Küchenzelt erzeugten ordentlich Lärm und drohten mehrmals vom Wind weggefegt zu werden. Was sicher war: Bärenbesuch würden wir bei diesem Lärm nicht bekommen.

 

Der nächste Morgen begrüsste uns in gleicher Manier: Windböen, Regen, Sonne bei rund 4 Grad. Der Entschluss war schnell gefasst: Zusammenpacken, Leinen los und auf in neue Gewässer! 

Trio Infernale: Rolando, Ursus & Rosie
Trio Infernale: Rolando, Ursus & Rosie

Beim Beladen des Bootes entdeckten wir folgende weisse Streifen, die der Fluss mit sich brachte. Wir rätseln bis heute noch, von welchem Wasserbewohner diese sind:

Nachtrag:
Unterdessen hat sich das Rätsel dank Rückmeldungen von Clemens R. und Harry W. aufgelöst:
es handelt sich hierbei um einen Fischbandwurm (Diphyllobothrium), welcher wohl von einem Bären ausgeschieden wurde.

Wir folgten dem Flussverlauf des Wuliks die ersten Meilen und bewunderten die baumlose Gegend. Horizont ohne Ende – Schwerstarbeit für unsere Glückshormone.

 

Wie schaut’s aber mit den Flossenträgern aus?

 

Beim erstbesten grösseren Pool zückten wir unsere Zweihandruten und bald rief

Rolando: „FISH ON!“

 

Fish on!!!
Fish on!!!
erster Chum aus dem Wulik!
erster Chum aus dem Wulik!

Na also, der Bann war gebrochen! Leider konnten wir an diesem Pool nur diesen einen Fisch überlisten, doch die Motivation war umgehend zurück und das Jagdfieber geweckt.

 

 

Aufsitzen und zum nächsten Pool! 

Wulik River, Alaska

Unterwegs begegneten wir zuerst zwei Jungs aus Minnesota, welche auch auf der Jagd nach den grossen Saiblingen waren.

 

Sie sangen den Bad-Fishing Blues und beklagten das miserable Wetter. Ein genauerer Blick auf ihre Ausrüstung liess über das Wehklagen keinen Zweifel. Die Jungs waren knapp für einen Pilzausflug am Sonntag Nachmittag mit den Kindern ausgerüstet, aber kaum für einen wöchigen Floattrip.

 

Erfolg hätten sie jedoch bei der Beerensuche gehabt und zeigten stolz den halbvollen Ziploc voller Blueberries.

 

Wichtig für sie war aber vor allem eines: „Any Bears?“

Nein, bis jetzt keine Sichtung von Bären, Wölfen, Karibus, Nordlichtern, Dollies oder Sheefish. Dieser Umstand und unsere Gelassenheit gegenüber der Bären „and if so?“ entspannte sie sichtlich. Nach dem Schwatz überliessen wir ihnen eine Packung „Chips Ahoy!“ (floterslike) und wünschten uns gegenseitig trockene Tage und dicke Dollies.

 

Beim nächsten Pool die nächste Gruppe: Drei Vögel aus Alabama. Wir hielten nicht an, wollten Meilen machen um endlich wieder ungestört die Ruten schwingen zu können.

 

Das Gespräch über den Fluss brachte hervor, dass die Jungs ohne Boot unterwegs sind und stationär bleiben, bis der Pilot sie wieder abholen kommt. Fischen wäre das Ziel, sei aber schwierig, da sie auf drei Mann nur eine Wathose dabei hätten, was die nassen Jeans erklärte. Ein Blick ans Ufer zeigte eine Plane, welche als Unterschlupf diente und sonst nix. „Have you seen any bears?“…

 

Rolando und ich fragten uns ernsthaft: Sind diese Jungs alle Hardcore und wir die Euro-Memmen mit all unserer Ausrüstung? Rolandos abschliessendes Urteil: Die sind alle „gschosse!“

 

Ein paar Meilen weiter empfing uns ein Pool wie aus dem Bilderbuch. Hier musste Fisch sein! Ein Blick ans rechte Ufer brachte eine herrliche Kiesbank mit massig Schwemmholz und gar ein paar vereinzelten Sandbänken zum Vorschein. Perfekter Campplatz für die nächste Nacht.

 

Beim Ausladen des Bootes und speziell beim Schleppen des ganzen Materials kamen erneut Zweifel über unsere Ausrüstung auf: Stühle, Tisch, Küchenzelt, Schlafzelt, Gaskocher, Proviantkisten, Alkoholkiste, Güetzi, Steaks, Pistazien, Toastbrot, Nutella, und, und, und.

 

Als dann aber die Küche stand und wir bei einem Corona in unseren bequemen Stühlen im Windschatten der Küche den Fluss zu unseren Füssen betrachteten, da war es bestätigt: „Ne, genau so und nicht anders!“

 

Nach der kurzen Erfrischung ging es an den Pool und wir konnten beide etliche Chums mit unseren Zweihändern überlisten. Auch die ersten Dollies kamen zum Vorschein, doch die waren noch weit von den gewünschten Grössen entfernt.

Wir entschieden zwei Nächte hier zu bleiben. Der Campplatz perfekt, der Pool interessant und das Wetter hervorragend.

 

Der nächste Tag wurde somit gemütlich: Welness, Fischen, Steaks brutzeln, Lagerleben pur.

 

Am Abend wartete der Himmel mit einem wahren Feuerwerk auf und als Mitternachts-Snack kredenzten wir uns eine „Orangen/Jägermeister-Flambada“. Herrlich!

 

Nachwehen gab es keine, ausser dass sich der Gaskocher von nun an leicht klebrig anfühlte.

Alpenglühn am Wulik
Alpenglühn am Wulik
Letzte Versuche im letzten Licht
Letzte Versuche im letzten Licht

Der vierte Morgen empfing uns in strömendem Regen und eine Wetterbesserung war nirgends in Sicht. Der Entscheid, heute weiter zu ziehen, fiel leicht. Schnell war alles abgebaut und auf dem Boot verstaut. Wir starteten gegen Mittag und folgten dem Fluss in der Hoffnung auf den nächsten aussichtsreichen Pool und auf eine Wetterbesserung. Beides blieb aus. Somit war klar: wir machen heute Meilen.

 

Spät Abends trafen wir am "Pick up Point" ein, wo uns Jim in zwei Tagen wieder abholen kommen wollte. Eine langgezogene Kiesbank im Fluss würde ihm genügend Platz bieten, um die Einmotorige landen zu können. Wir richteten das Camp am Ufer wiederum auf einer erhöhten Stelle auf. Nach einem schnellen Abendessen fielen wir todmüde in unsere Schlafsäcke.

 

Die ganze Nacht über hörte der Regen nicht auf und prasselte unablässig aufs Zelt. Der Start in den nächsten Tag begann mit feuchtem Schlafsack, Pfützen im Zelt und einer Saukälte. Der Blick in den Fluss verhiess auch nichts Gutes: Der Wulik war fast um das Doppelte angestiegen und zog als braun/graue Brühe vor unserem Zelt vorbei. Die Landestelle für Jim war um mehr als die Hälfte geschrumpft.

 

Während dem Frühstück beobachteten wir im Fluss ein paar Anhaltspunkte wie Äste an einem Baumstamm und stellten fest, dass der Fluss weiter anstieg. Wasser: unfischbar / Wetter: Waschküche / Trip: Fiasko!

 

Sat-Phone sei Dank, war Jim schnell angerufen. Er meinte, wir sollen mal die Kiesbank abschreiten und ungefähr die Distanz messen und ihn dann wieder zurückrufen. Mindestens 300 Schritte bräuchte er zum Landen.

 

Gesagt, getan: wir zählten, kamen auf 250 Schritte (bei steigendem Wasser), legten noch 100 drauf (man verzählt sich halt gern) und vermeldeten Jim: „350! – you can come!“.

 

Er schien unserer Gangart nicht ganz zu trauen und fragte: „Do you see the mountains?“ Ich blickte mich um und meinte: „for sure – I see a lot of mountains!“ Rolando schaute mich ganz verdutzt an und machte mir den Vogel. Jim hatte den Braten gerochen und liess verlauten, dass er uns hier nicht abholen kommen wird. Der nächstmögliche Pickup sei in Kivalina beim Airstrip. 

 

Alternativen gab es für uns keine, so mussten wir Jim’s Entscheid akzeptieren. Ungefähr 30 Meilen bis Kivalina müssten eigentlich machbar sein, aber nicht mehr am heutigen Tag.

 

Wir verblieben mit Jim, dass wir uns am nächsten Morgen in aller Früh auf den Weg machen werden und uns aus Kivalina wieder bei ihm melden würden.

Der Rest des Tages zog sich in die Länge: wir versuchten den Wulik weiter zu befischen, hängten aber mehrheitlich im trockenen Küchenzelt rum.

 

Spät Abends kam ein Boot den Fluss herunter mit den beiden Jungs aus Minnesota. Wir hiessen sie in unserem Küchenzelt willkommen und versorgten sie mit Corona und Ragusa.

 

Beide schlotterten wie die Schlosshunde und waren komplett durchnässt. Alle waren wir demoralisiert und klagten einander das Leid. Auch sie planten, dass sie hier von Jim abgeholt würden. Aber auch sie mussten nun bis Kivalina durchpaddeln.

 

Nachdem die beiden wieder einigermassen aufgewärmt, gestärkt und sichtlich erleichtert waren, dass sie nicht die einzigen Verbliebenen auf dem Fluss waren, machten sie sich in der Dunkelheit auf die Suche nach einem trockenen Campplatz. 

Mittlerweile war der Wulik weiter angestiegen und ausgerissene Bäume kamen den Fluss herunter. Langsam kam Sorge um unser Camp auf. Wir standen vor der Entscheidung: entweder räumen wir nun alles, beladen das Boot und machen uns in der Dunkelheit zwischen dem Schwemmholz Richtung Kivalina auf oder wir lassen’s drauf an kommen, übernachten noch einmal hier und starten erst am nächsten Tag bei Tageslicht. Der Entscheid fiel schwer, aber die Vernunft siegte: Start wird auf den nächsten Tag verschoben, jedoch alles bereits gepackt um einen Blitzstart hinzulegen, sollte das Wasser überraschend kommen.

 

Durch die Nacht stellten wir den Wecker auf jede volle Stunde. Einer von uns sollte dann raus und Mithilfe eines eingeschlagenen Pflocks im Fluss den aktuellen Wasserstand prüfen. Die ersten drei Kontrollgänge funktionierten gut, die Nervosität liess uns beide kaum schlafen. Doch anscheinend vergass einer von uns den Wecker für die nächste Schicht zu stellen oder der Schlaf war schlicht zu tief, jedenfalls wurde die nächste Kontrolle erst am nächsten Morgen gemacht. Der Fluss war zwar weiter angestiegen, doch blieben wir nicht zuletzt dank nächtlicher baulichen Massnahmen vom Wassereinbruch  verschont.

 

In Windeseile war das Camp zusammengeräumt, das Boot bepackt und wir fanden uns bald auf dem Fluss, im Kampf gegen die Strömung und das Schwemmholz.

 

Je weiter wir in Meeresnähe kamen, umso breiter wurde der Wulik. Und das wirkte sich äusserst negativ auf die Fliessgeschwindigkeit aus: War zu Anfang noch rasches Vorwärtskommen, trotz des starken Gegenwinds ein Leichtes, wurde das untere Drittel zur wahren Tortur.

 

Wir paddelten uns über Stunden die Arme wund. Der Wind presste das Wasser aus der Lagune den Fluss hinauf und mitten im Fluss formten sich stehende Wellen. Zeitweise wurden wir trotz grösster Kraftanstrengung einfach wieder den Fluss hinauf getrieben. Da blieb jeweils nur das Aussteigen übrig, um das Boot am langen Seil zu zerren, und so zu verhindern nicht wieder wertvolle Meter zu verlieren. Das ganze Flussdelta war mittlerweile zu einem riesigen See angeschwollen und es war kaum noch zu erkennen, wo eigentlich das Meer, resp. Kivalina, sich befinden würde.

 

Alternativen waren keine in Sicht: weder erhöhtes Ufer für einen Campplatz noch Anzeichen von Zivilisation – es blieb nur Paddeln übrig. Sich breit machende Frustration wurde umgehend mit Galgenhumor und Traubenzucker bekämpft. Zähne zusammen beissen und pullen war das Motto für diesen Tag.

Das Geräusch eines Aussenboarders liess uns plötzlich aufhorchen! Die sich mittlerweile eingeschlichene Paddellethargie war auf einen Schlag verschwunden! Da muss irgendwo ein Boot rumkurven! Wir waren plötzlich wieder hell wach und suchten den Horizont nach verdächtigen Zeichen ab. Das Motorengeräusch kam mal näher, mal entfernte es sich wieder. Ein Wechselbad der Gefühle… Doch plötzlich entdeckten wir das Boot, welches den Fluss hinauf bretterte. RETTUNG! Das Boot nahm direkt Kurs auf uns und verlangsamte die Fahrt.

 

Zwei Ranger von ADF&G begrüssten uns freundlich und wollten wissen, was wir denn hier treiben. Nachdem wir ihnen erklärten, dass wir Fischen und nicht Jagen und wir auch keine Waffen an Board haben, entspannten sich die beiden, sprich die rechte Hand an der Hüfte wurde wieder für Gestik und Körpersprache eingesetzt.

 

Der Eine der Beiden hielt nun Rosie an der Leine und wir wurden ans nächst gelegene Ufer geschleppt. Dort wurden wir aufgefordert uns auszuweisen und unsere Fischereilizenzen vorzuweisen, welche wir nach einigen Wühlaktionen im Gepäck stolz hoch hielten. Dabei nahmen die beiden Ranger auch gleich unser ganzes Material unter die Lupe. Die Ragusa-Stengel, die bei der Wühlaktion auftauchten, lehnten die beiden strickte ab. „Hey, this is Swiss Chocolate – try it!“. „Nope – show me your ID and Fishing Licence“. Okey, Okey...

 

Die beiden waren für uns schwierig einzuschätzen, kaum ein freundliches Wort, streng nach Vorschrift. Auf die Frage, ob es noch weit bis Kivalina sei, bekamen wir zur Antwort, dass wir uns noch etliche Meilen von unserem Ziel befinden und die Lagune noch zwischen uns stehe. Dort wäre das Vorwärtskommen noch schwieriger, da wir zusätzlich auch gegen die Flut ankämpfen dürften.

 

Sie erbarmten sich unser und nahmen uns in ihren Schlepptau. Rolando und ich waren gerettet! Wir verzurrten unsere Kapuzen und hörten dem Brummen des Motors zu, der jedoch schon bald ins Stottern kam und zum Schluss ganz aufgab. Der Captain schien im ungewohnt breiten Fluss auch die Orientierung verloren zu haben und manövrierte durch einige Untiefen, die zur Folge hatten, dass der Jet-Motor mit Schlick verstopfte. Ein kleine Revision des Yamaha brachte aber Besserung und die Fahrt konnte weitergehen, nun aber mit deutlich mehr Vorsicht. Der Vordermann stackte von nun an mit dem Ruder die Untiefen aus.

 

Nach über einer Stunde kamen wir endlich zur Lagune, und Kivalina als Insel war am Horizont auszumachen. Links daneben die donnernde Brandung, welche in die Lagune drückte. Rolando und mir wurde bewusst, ohne diese Rettungsaktion wären wir noch Tage am Paddeln gewesen.

27.08.2015 - Kivalina

In Kivalina halfen uns die beiden Ranger das Boot auszuladen und machten sich dann wieder auf ihre Mission als Hüter des Gesetzes. Eine Belohnung in Form von ein paar Greenbacks lehnten sie wiederum strikte ab.

 

Rolando und ich sortierten das Gepäck und gewöhnten uns an die Umgebung. Kotzebue war im Vergleich direkt aufgeräumt. Es ging nicht lange und ein erster Native begrüsste uns mit der aussergewöhnlichen Frage: „Do you have Marihuana?“ und gleich im Anschluss: „Do you have Alcohol?“ Waren wir kurz zuvor noch knapp der ewigen Verdammniss im Wulik-Delta entgangen, waren wir nun doch etwas sprachlos.

 

Eine knapp trockene Zigarette konnten wir ihm anbieten – die Enttäuschung war ihm jedoch deutlich anzusehen.

Jim meldete sich am Telefon und versprach, dass er in den nächsten Minuten Richtung Kivalina starten würde.. Wir sollten in der Zwischenzeit unser Material zum Airstrip transportieren.

 

Ein Native kam auf einem Quad angebraust und nach einem kurzen Talk und 40 Dollar, führte er uns zum Airstrip. So kamen wir auch gleich in den Genuss einer Stadtrundfahrt.

 

„We hunt, we fish and we eat everything!“.

 

Vor ein paar Wochen wären fünf Belugawale vor der Küste gesichtet worden – „we got them all“. Das Grinsen war breit.

 

Alle Vorräte werden zentral in einem der Langhäuser im Permafrost  gelagert und verwaltet. Alles erlegte Wild wird gemeinsam unter den Dorfbewohnern aufgeteilt.

 

Eine Bar oder Restaurant würden wir hier nicht finden. Kivalina ist „dry“; weder Verkauf noch Besitz von Alkohol ist erlaubt. Als Übernachtungsmöglichkeit bot er uns das Schulzimmer an. Wir lehnten dankend ab und erklärten, dass wir noch heute zurück nach Kotz fliegen würden.

 

Die überall im Dorf aufgestellten Walkieferknochen haben folgende Bewandtnis: Stirbt einer der Waljäger, wird ihm zu Ehren so ein Knochen aufgestellt. Der Fahrer zeigte uns voller Stolz den Gedenkknochen seines Vaters. Ob auch ihm eines Tages diese Ehre zuteil kommen wird, ist unsicher.

 

Kivalina gehört leider zu den Top-Cities, welche aufgrund des steigenden Meeresspiegels in den nächsten Jahren überflutet werden. Der Bundesstaat Alaska hat bereits grosse Steinblöcke per Hubschrauber von der Red Dog Mine bringen lassen, doch die halten die Brandung nur temporär auf. Man sei nun auf der Suche nach Sponsoren, welche einen Umzug auf’s Festland finanzieren würden und so Kivalina als Gemeinde retteten. Falls dies misslinge, wüssten die Bewohner auch nicht, was mit ihnen geschehen werde.

Am Airstrip angekommen, hiess es nun auf Jim warten.

 

Langweilig wurde es uns nicht, denn wir beiden „white guys“ waren die Attraktion des heutigen Tages.

 

Zuerst besuchte uns ein junger Typ, um die zwanzig, mit einem breiten aber zahnlosen Grinsen und ein paar lustigen Geschichten über irgendwelche Kobolde auf dem Festland und seinem Traum bei diesen Waldmännern einmal leben zu können.

 

Dann erklärte er uns, wie hier mit dem Gesetz umgegangen werde: Urteile, Strafen und Regeln würden durch den Dorfrat festgelegt. Und wenn doch einmal die Feds (Marshalls) aus Kotzebue kommen müssten, würden alle Beweise zuvor im Meer versenkt. So sei auch er schon dem einen oder andern Ausflug nach Kotz entgangen und trauerte seiner selbstkonstruierten Destille nach.

 

Wir trösteten ihn mit einem Corona, welches wir im Sichtschutz eines Containers heimlich wegzischten, wie 12 jährige Buben ihre erste Lucky Strike.

 

Als drei Kleinkinder auftauchten, packte der Typ schnell seine Sachen zusammen und wünschte uns eine gute Heimreise nach Europa. Wir stopften ihm zum Abschied ein paar Dosen Bier unter seine Jacke und wünschten ihm auch alles Gute für sich und seine Heimat Kivalina.

 

Die drei Kids fanden uns absolut spitze! Sie bestaunten unsere Wathosen und die komischen wasserdichten Säcke und hatten einfach einen riesen Spass den beiden Bleichgesichter non-stop Fragen über alles mögliche zu stellen.

 

Während wir mit den dreien rumblödelten, tauchte Jim am Horizont auf und landete kurzum auf dem Airstrip. Als Rolando begann den dreien Kaugummis zu verteilen, waren sie kaum noch zu halten: „More, more, more, more!!“. Im Gegenzug packten die drei nach besten Kräften mit an und Jim’s Flieger war kurzum beladen. Zum Abschied wurde noch vor dem Flieger posiert und Fotos gemacht, bis Jim dem Treiben ein Ende bereitet: „Let’s go!“

Wie in Kotzebue ist auch in Kivalina der vorhandene Platz bestens genutzt. Die Landebahn dient zugleich auch als Friedhof.

 

Im Flieger wurde es bald warm und das monotone Brummen des Motors liessen uns den Rückflug nach Kotzebue herrlich verschlafen.

27.08.2015 - Kotzebue

Beim Eintreffen in Kotzebue erwartete uns auf dem Flugfeld eine grosse Army-Maschine. Jim erklärte, dass dies bereits die dritte Transportmaschine sei, die in den letzten Tagen angekommen ist. Weitere sollen noch folgen. „Obama is coming“. Ganz Kotz stehe Kopf und nichts funktioniere noch wie gewohnt. Wir hätten Glück gehabt, dass er überhaupt starten und uns abholen kommen konnte.

 

In Jim’s Hangar durften wir alles Material zum Trocknen aufhängen und auslegen. Anschliessend kam es in Jim’s Office zur Lagebesprechung.

 

Jim hatte keine guten News für uns: Alle Flüsse in der Region stehen unter Hochwasser und das Wetter sollte sich in den nächsten Tagen nicht verbessern. Den Kobuk zu floaten würde keinen Sinn machen, ausser wir wollten einen Wulik 2.0 erleben.

 

Rolando und mir wurde schnell klar: Kotzebue ist als weitere Basis untauglich. Wir mussten die Planung gänzlich neu aufsetzen, denn der Rückflug nach Europa war erst in 12 Tagen geplant. Was für Optionen hatten wir?

 

  • Verschiebung nach Kodiak, um im Roadsystem den Silberlachsen nachzustellen? (etwas zu früh)
  • Floattrip auf dem Talachulitna? (etwas zu spät)
  • Anchorage & Mietwagen;  Anchor River (Steelheads) & Co.? (etwas zu langweilig)
  • Cordova? (wohl am besten)

 

Irgendwie wollte aber keine der Ideen das Lächeln und die Motivation zurück bringen. Was aber klar war: Kotzebue müssen wir so rasch wie möglich hinter uns lassen.

 

Ein Anruf bei Carmen und umgehend waren die Flüge zurück nach Anchorage organisiert. Leider war der Abflug erst am nächsten Tag, was bedeutete, dass wir eine weitere Nacht hier in Kotz festsassen.

 

Carmen hörte sich unsere Ideen für die nächsten Tage an und wollte uns auf die Schnelle per eMail ein paar Vorschläge ausarbeiten.

 

Für uns galt jetzt primär eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Da kam Jim’s Frau ins Spiel. Sie meinte, sie hätte uns bereits zwei Betten im Bibber’s B&B organisiert. Wir hätten unwahrscheinliches Glück gehabt, Kotz sei nämlich durch die 300 Marines, welche mit den Transportmaschinen eingeflogen wurden, komplett bis aufs letzte Bett ausgebucht. Das Bibbers wäre ab dem nächsten Tag auch ausgebucht, aber für diese Nacht wäre noch ein Zimmer für uns frei gewesen.

 

Wir dankten herzlich für die Organisation und durften mit Jims Klapperkiste kurz unser Material ins B&B überführen und den Wagen für den Rest des Abends benützen. Eine Taxifahrt in Kotz kostet immer gleich viel: 11 Dollar. Egal, ob 50 Meter oder 1 Kilometer Fahrt.

 

Unser Eintreffen im Bibber’s B&B war nicht so herzlich wie wir das sonst von Alaska gewohnt waren.

 

Gene war sichtlich erbost, ob der beiden Schweizer, die es mit ihrem ganzen tropfenden und dreckigen Gepäck aufzunehmen galt. Sie wollte eigentlich das komplette B&B nochmals richtig durchwischen, bevor die Marines eintreffen würden. "Wozu? Die Jungs sind doch eh alle voller Wüstensand von ihrem letzten Einsatz!" - fand sie nicht so lustig... über die Troops macht man keine Witze!

 

Das Fass lief dann aber über, als wir die etlichen Hinweisschilder "CLOSE THE DOOR!" übersehen hatten. Der Eingangsbereich besteht aus zwei Schleusen, mittels dreier Eingangstüren hermetisch abgeriegelt. Wir zwei Deppen trampeln da durch und nur darauf bedacht unser ganzes Geraffel möglichst schnell ins Innere zu bringen. Da blieb halt mal die eine oder andere Tür offen stehen. 

 

Huch, hat die Gene ein Organ! "SHUT THE DAMN DOOR!!!!" Ob wir denn der Meinung seien, dass sie ganz Kotzebue zu heizen habe?

 

Nach dieser Predigt verzogen wir uns in unser Zimmer und begannen unser ganzes nasses Zeug im oberen Stock auszubreiten. "Hoffentlich kommt die Alte nicht nochmal und sieht das Gelage - das gibt sicher wieder Ärger...".

 

Die langersehnte Dusche genossen wir überaus lang, gänzlich ohne schlechtes Gewissen ob der Boilerentleerung. Den möglichen Rüffel nahmen wir in Kauf, welcher aber ausblieb -  Gene schien anders beschäftigt zu sein und uns vorerst vergessen zu haben. 

 

Wir sortierten unser Zeug neu, überlegten angestrengt, was wir via Cargo nach Anchorage zurückschaffen wollten, was auf Mann blieb und was wir Jim an Material zurück liessen. Hing natürlich auch alles davon ab, wo es uns als nächstes verschlagen würde.

 

Frisch geduscht, aufgewärmt und mal trocken zwischen den Zehen genossen wir ein üppiges Mahl bei unserem Lieblingskoreaner in Kotzebue.  Zuvor checkten wir aber noch kurz die eMails und siehe da - Post von Carmen traf ein. 

 

Alle unsere Ideen wären ab morgen machbar - alles im Budget. Jedoch gab sie uns noch eine weitere Option zur Auswahl:

 

Kanektok River, 10 Tages Float - Coho Trip.

Start jedoch erst Übermorgen, da für den nächsten Tag keine freien Plätze mehr auf der Maschine nach Bethel zu buchen sind. Das würde heissen, wir müssten eine Nacht in Anchorage bleiben.

 

Rolando und ich hatten während des Essens mal wieder eine rege Unterhaltung, mal nicht über Wasserstände, Restmeilen, Kälte und Feuchtigkeit - tat richtig gut...

 

Nach den Erlebnissen am Wulik wollte das Float-Feuer bei uns beiden irgendwie nicht richtig entzünden. Unter dem Strich hatten wir knapp 12 Stunden fischen können, mehr schlecht als recht. Der Rest wurde gepaddelt, gefrohren, das Camp wasserdicht gemacht oder einfach gelangweilt.

 

Auf der anderen Seite standen aber auch nicht wirkliche Optionen zur Auswahl. Jedenfalls nichts, was annähernd an unsere ursprünglichen Pläne heran gereicht hätte. Da war der Kanektok dann doch noch das "Wildeste" von allem. 

 

Nach einer Extra-Portion "Coconut-Shrips" war der Entscheid gefällt: Kanektok!

 

Mit vollem Bauch ging es zurück zu Jim, wo wir das Material neu sortierten. Mit Carmen wurde abgemacht, dass sie uns umgehend auf die Maschine bucht und mit dem Bushpiloten unseren Ausflug von Bethel an den Kanektok in die Wege leitet. Weiter organisierte sie, dass eines ihrer kleinen Boote, ein Schlaf- und ein Küchenzelt nach Bethels via Cargo noch heute versendet wurde. Wir würden von Kotz die Küche, den Proviant und weiteres Campmaterial auf Mann mitnehmen. Das restliche Material, was wir nicht am Kanektok brauchten, wurde später von Kotz via Cargo nach Anchorage geschickt.

 

Nun war alles organisiert, alles aufgesetzt und der Plan für die nächsten Tage stand. Zudem hofften wir natürlich darauf, dass wir in der Bristol Bay herrlichstes, warmes Herbstwetter hätten und die Fischerei auf die Cohos der absolute Wahnsinn werden würden. Zur Feier gab's noch eine wirklich leckere Pizza von einem lustigen Takeaway-Schuppen. Die Entspannung war der massen überwältigend, dass wir es knapp noch in die Betten des Bibbers schafften. Selten so gut geschlafen.

 

28.08.2015 Back in Anchorage

Am nächsten Tag klappte alles wunderbar. Der Flieger in Kotzebue startete planmässig, gar alles Gepäck kam in Anchorage an und DeAnn holte uns wiederum am Flughafen ab und überliess uns Carmen's Privatauto. Das Wetter war der Hammer! Sonne pur!

 

und jetzt?

 

Na aber sicher: Tackleshop!

Viel Vorbereitungszeit für den Kanektok hatten wir ja nicht. Ich konnt mich aber erinnern, dass der Kanektok berühmt für seine Regenbogenforellen und Dolly Varden sei (nebst dem immensen Cohoaufstieg). 

 

Cabelas & Sportsman haben zwar alles und das doppelt, aber Fliegenfischer bedienen sie nur beschränkt, speziell wenn man auf der Suche nach Mäusen ist. Unsere bisherige Lieblingsadresse für FlyFi-Tackle war bis anhin Mountain View Sports. Da dieser aber gerade am Zügeln war, wichen wir auf Mossy's Fly Shop aus und wurden glücklich. 

Cabelas - darf's ein bisschen mehr sein?
Cabelas - darf's ein bisschen mehr sein?

Wir fanden bei Mike alles wonach wir suchten. Und falls was fehlt, steht der Bindestock zur freien Verfügung. Ein weiterer toller Service von Mike und seinem Team: Simms Wathosen Verleih. Der hiesige Seefischer kann sich also für den nächsten Alaskaurlaub die Wathose einfach mieten, statt teuer kaufen zu müssen.

Nach dem Tackleshop musste natürlich nochmals der Ship Creek begutachtet werden; die Wathosen/-Schuhe waren ja noch nass vom Wulik. Wir konnten den einen oder anderen Fischer beobachten, welcher einen Coho fangen konnte, doch irgendwie fehlt die Motivation in den Schlamm runter zu steigen. Einen kurzen Moment dachten wir noch über einen Ausflug an den Anchor-River nach; aber das wäre wirklich ein bisschen zu viel des Guten gewesen. 

Bilderrätsel für Alaska Erfahrene:

 

Wo könnte sich unser Rolando befinden?

 

 

kleiner Tipp:

aktueller Bestand der 1-Dollar Noten wird geprüft.

Das warme Wetter in Anchorage war eine richtige Wohltat und es kam wieder richtig Lust auf neue Abenteuer auf. Wir freuten uns nun auf den Kanektok und waren froh, hatten wir uns für einen zusätzlichen Float statt eines Weichspühler-Roadside-Fishing-Trip entschieden.

 

Voller Spannung auf den nächsten Tag ging es in die Betten und der Kanektok konnte kommen!

Résumé

Ganz einfach: Das war nix. Aber weder der Wulik noch der Kobuk sind auf der „to float-Liste“ gestrichen – bei anderer Wetterlage hätte das ganz anders ausgeschaut.

 

 

Ansonsten: Alles hat super geklappt (ausser natürlich der Gepäcktransport), die Leute waren alle durchwegs freundlich und hilfsbereit (ausser man lässt in Kotz Türen offen stehen), und die Zeit mit Rolando war wieder mal sehr lustig, amüsant und interessant!

 

Erstaunlich für uns beide: Wir haben wieder extrem viel erlebt, obwohl wir kaum gefischt haben…

 

Was wir am Kanektok erlebt haben, ist hier im Teil2 zu lesen und zu sehen. Viel Spass!